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- Kategorie: Vereinsaktivitäten
Sport- und Gesundheitstag 2009 BBS 1 und BBS 2
Erfahrungsbericht zum Angebot "Disziplin und Integration durch Boxsport"
Sport- und Gesundheitstag 2009 der BBS 1 und BBS 2 am 17.09.2009. Zu Beginn waren wir skeptisch. Noch nie zuvor wurde am Sport- und Gesundheitstag ein Angebot zum Boxsport gemacht. Viele Fragezeichen standen über unseren Köpfen.
- Wird das Angebot angenommen oder stehen wir nachher alleine im Ring?
- Wie wird die Resonanz bei den anderen Lehrenden sein?
- Können wir Interessierte ansprechend einbinden und beschäftigen?
- Welchen Eindruck werden die Schüler/innen am Ende haben?
Auch wenn es stilistisch nicht korrekt ist, möchte ich das Endergebnis vorweg nehmen. Die Fragezeichen wichen allesamt sehr schnell und Ausrufezeichen prangten zum Schluss über unseren Köpfen! Aber erstmal der Reihe nach.
Am Mittwochabend luden wir das Equipment in Eckhards Lieferwagen. Ich bat noch einmal um die Präsenz der Vereinsführungsriege - dies sollte wenigstens die Anwesenheit von ein paar Leuten im Ring sichern. Recht früh am Donnerstag reservierte ich uns einen zentralen Platz auf dem Schulgelände. Damit konnten wir zumindest auf Laufkundschaft hoffen. Bereits als wir den Ring aufbauten, kamen die ersten Schüler/innen vorbei und erkundigten sich, ob wirklich Boxen angeboten werden würde und ob die mitmachen dürften. Allerdings war es noch recht leer. Um ein paar Leute anzulocken und die Aufmerksamkeit auf uns zu lenken, schaltete ich die Musik an und begann mit dem Seilspringen. Schon versammelten sich die ersten Schüler/innen am Ring. Zu Anfang waren sie noch zurückhaltend und wir mussten sie überreden, durch die Ringseile zu steigen, denn im Ring standen sie im Mittelpunkt. Sie waren den Blicken aller anderen ausgeliefert - ohne Hilfe, allein mit dem Trainer. Einigen zog ich die Handschuhe an, zeigte ihnen die Grundstellung beim Boxen und ließ sie in die Pratzen schlagen. Erst kamen die Schrittfolge und die Führungshand. Sobald der Bewegungsablauf und die Koordination akzeptabel waren, folgte die Schlaghand. Am Ende schlugen alle Schüler/innen die erste Kombination "Führungshand, Schlaghand, abtauchen und raus". Durch diese Erfolge ermuntert sank die Hemmschwelle. Die Schüler/innen kamen unaufgefordert in den Ring und fragten, ob sie auch mitmachen dürften. Der Ordnung halber mussten sie zuvor eine Einverständniserklärung ausfüllen und durften dann an den Übungen teilnehmen. Die Schüler/innen waren sichtlich begeistert. Sie lernten einen kleinen Teil des technisch-taktischen Grundverhaltens im Boxsport kennen. Aber das war nur ein Bruchteil von dem, was sich insgesamt abspielte. Das sportliche Geschehen war lediglich die Oberfläche.
Die Mädchen und Jungs vollzogen bereits in dieser kurzen Zeit einen kleinen charakterlichen Wandel. Dies wurde in erster Linie deutlich, wenn ich die Deckung mit den Pratzen "abgeklopfte". Dabei kontrollierte ich durch leichte Stöße mit den Pratzen den richtigen sowie sicheren Sitz der Deckung. Die Jungs mussten in dieser Situation hauptsächlich Disziplin und Zurückhaltung unter Beweis stellen. Sie hatten meinen Anweisungen zu folgen und nur so zu reagieren, wie ich es verlangte. Anfangs schlugen sie oft unkoordiniert und wild auf die Pratzen, selbst wenn keine Aufforderung zum Schlag ereilt wurde oder nur die Deckung von mir geprüft werden sollte. Außerdem zeigte diese Schutzreaktion die Unsicherheit von einigen. Entgegen ihren gewohnten Empfindungen fühlten sie sich jetzt nicht mehr überlegen und als "Herr der Lage". Da stand nun auf einmal eine Person vor ihnen, der sie unterlegen waren, der sie sich unterordnen und öffnen mussten. Solche seltenen Konstellationen sind in vielen anderen Sportarten nicht möglich. Als Boxtrainer kann ich in diesen Fällen besonders Jugendliche mit einem schwierigen sozialen Hintergrund auf einer gemeinsamen sowie fruchtbaren Ebene erreichen, um Defizite zu fördern. Die Mädchen reagierten anders auf die Kontrolle der Deckung. Auch sie handelten zwar im Affekt mit einer Schutzreaktion, sobald ich sie mit den Pratzen berührte, aber sie waren eher ängstlich, verschreckt und zuckten zusammen. Dies verwundert bei der Situation natürlich nicht. Für die Mädchen war es demnach wichtig, Selbstbewusstsein zu gewinnen. Während der Übungen gewöhnten sie sich langsam an das Vorgehen. Sie wurden selbstsicherer und behaupteten sich aktiv. Die Schutzreaktionen nahmen ab, sie konzentrierten sich auf die Übung, ließen sich nicht mehr von den Pratzen beeinflussen und ihre Selbstsicherheit stieg merklich. Es war ersichtlich, dass der Boxsport ebenso wie bei den Jungs auch bei den Mädchen eine gute Grundlage für die Jugendarbeit bietet. Der Trainer genießt in der Regel ein sehr hohes Maß an Vertrauen und kann deshalb bei längerer Zusammenarbeit einen großen positiven Einfluss auf seine Schützlinge ausüben. Es ist nicht so, dass andere Sportarten prinzipiell schlechter für die Arbeit mit Jugendlichen geeignet sind, aber die Besonderheiten des Trainings von Kampfsportarten sowie deren Charakteristik erreichen gezielt Jugendliche mit einem sozialen Förderbedarf und bieten in dieser Hinsicht eine bessere Grundlage zur Betreuung, als Sportarten, bei denen eine weniger starke Selbstoffenbarung und geringere Vertauensbasis notwenig ist bzw. erzielt wird.
Im Laufe des Vormittags war die Nachfrage der Schüler/innen so groß, dass ich bis 13 Uhr keine Pause hatte und mein Kaffee kalt wurde. Die Beteiligung war mehr als erfreulich. Insgesamt hatte ich zehn Schülerinnen und 13 Schüler an den Pratzen. Noch mehr nahmen sich ein Seil und übten das Springen oder sahen gespannt zu. Die Kolleginnen und Kollegen hatten nur positive Worte übrig und waren sichtlich angenehm überrascht. Sie versammelten sich ebenso wie die Schüler/innen zahlreich um den Ring. Die Präsenz der Vereinsführung war nicht notwendig. Ich konnte kaum ein Wort mit den anwesenden Vorstandsmitgliedern wechseln. Das Feedback hätte nicht positiver ausfallen können. Wo waren nun die Fragezeichen?
Nicht unwesentlich war es am Ende, dass die Komplexität des Boxsports ansatzweise sichtbar wurde, sodass eine vorschnelle Verurteilung als primitive Disziplin vielleicht weiter nachlassen wird. Wir freuen uns nämlich darauf, auch in Zukunft die positiven sozialen sowie pädagogischen Effekte des Boxtrainings in den regionalen und hoffentlich auch schulischen Alltag einfließen zu lassen. Kampfsportarten haben ein großes Potential, die soziale sowie die charakterliche Entwicklung dauerhaft zu fördern, wenn das Training entsprechend aufgebaut und strukturiert ist. Prozesse, wie sie zuvor bei den Geschlechtern geschildert wurden, müssten dafür eigentlich ausgebaut und vertieft werden. Zumindest hatten wir hier die Möglichkeit, eine Fußnote zu setzen und damit waren wir auf jeden Fall sehr zufrieden.